Best Practice: Kommt ein Werkstück zum Arzt
Oder was die zerstörungsfreie Materialprüfung von der Medizin lernen kann
VISUS Industry IT GmbH
Gründungsjahr: 2018
Mitarbeiterzahl: 3
Geschäftsfeld: Digitales Bild- und Prüfberichtsmanagement
Wer Röntgen, Ultraschall, Computertomographie oder Endoskopie hört, denkt vermutlich an einen Arztbesuch. Dass diese Methoden auch zur zerstörungsfreien Prüfung von Bauteilen und Materialien genutzt werden können, ist deutlich weniger bekannt.
„Die Werkstoffprüfung ist die Diagnostik in der Medizin. Inspektion und Wartung sind so etwas wie die Therapie.“ – Peter Rosiepen von der VISUS Industry IT Mit CT werden Motorblöcke geprüft, per Endoskopie werden Triebwerke von Flugzeugen untersucht und jede Schweißnaht einer Pipeline wird geröntgt. Mit einem großen Unterschied zum Arztbesuch: Wenn ein Radiologe ein Röntgenbild in den Leuchtkasten steckt, weiß jeder Patient, dass dies nicht mehr Stand der Dinge ist. In Krankenhäusern und Arztpraxen läuft heute alles längst digital. Krankenhaus-Informations-Systeme und IT-Standards bei den Datenformaten machen dies selbstverständlich.
Anders in der Industrie. Hier wird das Röntgenbild noch in den Leuchtkasten gehängt. Der Grund: In der zerstörungsfreien Materialprüfung ist digitales Röntgen weit weniger verbreitet. Es gibt kein intelligentes Bildmanagement, dafür massive Schnittstellenprobleme mit QA- oder anderer ERP-Software.
Anders als digitale Krankenakten werden fertige Prüfbilder oft analog gelagert. Je nach Branche und Sicherheitsstufe jahrzehntelang. In Kernkraftwerken gilt eine Zulassung immer für 30 Jahre. Also muss nach 30 Jahren wieder alles neu gespeichert werden. In der Luftfahrt müssen die Daten gespeichert werden, solange ein Flugzeug fliegt. Jede Inspektion wird hier meist immer noch analog dokumentiert und es entstehen gigantische Archive, in denen Bilder kaum auffindbar sind.
Die VISUS Industry IT GmbH ist eine Ausgründung aus der VISUS Health IT GmbH. Ein Softwareunternehmen auf dem Gesundheitscampus Bochum, das seit 2000 Softwarelösungen für das Bild- und Informationsmanagement im Gesundheitswesen entwickelt und anbietet.
Die VISUS Industry IT GmbH will diese Lücken schließen, indem sie Lösungen aus der Medizin in die Industrie überträgt. Hier setzt Peter Rosiepen von der VISUS Industry an: „Zwischen SAP und Prüfabteilung fehlt etwas. Das gibt es schlichtweg nicht. Und da kommen wir jetzt ins Spiel.“ VISUS liefert Software, um Inspektionen zu digitalisieren und die Bildformate unterschiedlicher Prüfgeräte zu standardisieren und sie digital nutzbar zu machen.
Jetzt kommt die Künstliche Intelligenz ins Spiel
Die standardisierte Digitalisierung kann den Workflow in der Materialprüfung erheblich vereinfachen. Und mehr noch. Sie schafft die Basis für den Einsatz Künstlicher Intelligenz. In der Medizin nutzt man Computer Added Diagnostics bei der Bildauswertung. Um beim Mammographie-Screening Mikrokalk in der Brust festzustellen, wird eine intelligente Software genutzt. Das Programm macht den Arzt auf kleinste Kalkpartikel aufmerksam, indem es fragliche Strukturen einkreist. Der Radiologe weiß nun, wo er besonders hinschauen muss.
Peter Rosiepen wünscht sich solch intelligente Verfahren auch für die Überprüfung von Schweißnähten: „Es gibt mindestens 15 verschiedene Fehler und ein ausgebildeter Prüfer kann diese Fehler erkennen. Im Schiffsbau haben Sie aber mehrere Kilometer Schweißnähte. Wenn ein Prüfer den ganzen Tag mehrere Stunden hintereinander solche Filme mit Schweißnähten ansieht. Was meinen Sie, wie viele Fehler dann übersehen werden können?“
Hier kommt die Künstliche Intelligenz ins Spiel. Mit Unterstützung des InnoScheck.RUHR hat VISUS ein Konzept entwickelt, um KI-Systemen beizubringen, Fehlerklassen auf Basis der digitalen Bilder zu erlernen. Bis zur Umsetzung ist es noch ein weiter Weg. Die automatisierte Fehlererkennung mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz ist das Ziel.
Dass so ein Verfahren die menschlichen Prüfer am Ende überflüssig macht, glaubt Peter Rosiepen allerdings nicht und greift hier wieder auf eine Analogie aus der Medizin zurück: „Ohne Menschen wird das nicht funktionieren. Die Künstliche Intelligenz wird nicht den Arzt ersetzen. Sondern der Arzt, der mit KI arbeitet, ersetzt den ohne KI.“
Auf dem Weg zur sichereren zerstörungsfreien Materialprüfung werden Menschen bei ihrer Arbeit unterstützt, nicht ersetzt.